“Niemand hätte gesagt: Ich bin froh, dich getroffen zu haben.“
Dienstag, der 6. Februar 2024. Wir gehen in die ‚Sonne‘, setzen uns und sehen einen Mann mit dunkelblonden Haaren und Tattoos. Er wirkt sympathisch und bietet uns direkt an, ihn zu duzen. Danach erzählt er uns, er sei 45 Jahre alt und komme aus Lübeck. Sein Name ist Philip Schlaffer. Philip ist Referent des „Extremislos e.V.“, welche das Ziel hat, die psychische Widerstandsfähigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegen extremistische Ideologien und gegen extremistische Rekrutierung zu stärken. Dazu erzählt er uns seine Geschichte. Denn Philip war früher selbst ein Neonazi und erklärt, wie es dazu kam. Neonazi zu sein, bedeutet nach seiner Aussage vor allem, das deutsche Volk als das unbestreitbar beste zu sehen, Menschen in Rassen zu trennen und sie auch danach zu behandeln. Er erzählt uns, der Grundbaustein entstand schon in seiner Kindheit. Denn er zog mit 10 Jahren nach England und mit 14 wieder zurück nach Deutschland. Nach beiden Umzügen verspürte er eine starke Einsamkeit. Er konnte nach seiner Rückkehr nach Deutschland kein fließendes Deutsch mehr und musste von einem Gymnasium auf einer Realschule wechseln. Das mehrfache Herausreißen aus seiner Umgebung führte bei ihm zu Wut, Hass und Aggressionen und er erzählt, dass diese Emotionen seinen nachfolgenden Weg unterstützten. Bald, sagt er, traf er auf andere Jugendliche. Andere, welche auch „hassten“. Es war von nun an seine Gruppe, es waren seine Freunde; Menschen, die so waren wie er selbst. Und dort fand er zunächst das, was ihm fehlte. Anerkennung, Gemeinschaft und Aufmerksamkeit. Diese Gruppe entwickelte sich zu Rechtsextremen bzw. Neonazis. Und an seinen Wänden hingen bald eine Reichs- und Hakenkreuzflagge und er hörte rechtsextreme Musik. Dies, erzählt uns Philip, sei auch ein wichtiger Punkt, denn durch die Musik wurde sein Hass noch mehr verstärkt. Hass gegen Juden, Hass gegen die Polizei, gegen seine eigene Familie. Später zog er nach Mecklenburg-Vorpommern und gründete und führte die neonazistische „Kameradschaft Werwolf“. Außerdem produzierte er Musik und hatte auch mehrere Läden. Er zeigt uns ein Video, welches vor einem seiner Läden, dem Werwolf Shop in Wismar, stattfindet. Man sieht in diesem Video Philip und drei andere Männer, welche gegen ‚Demonstranten gegen Rechts’ mit Baseballschlägern handgreiflich werden bzw. werden wollen. Dies wird jedoch von der Polizei unterbunden. Beim Ansehen bemerkte man sofort die Aggressivität und Angriffslustigkeit der Werwolf Gruppe. Philip sagt, das erste Mal, dass er Zweifel an seinem „Lebensstil“ hatte, war, als er selbst Opfer eines Raubüberfalles wurde und einen Täter dabei erkannte. Es war einer seiner Geschäftspartner. Philip schoss einen der Täter an und verhinderte somit den Überfall, weil die Täter flohen. „Jeder von uns trug Waffen mit sich, um sich „verteidigen“ zu können. Doch es führt nur schneller zu Gewalt“, erklärt Philip. Die Frage, wie weit diese Menschen noch gehen würden, beantwortet sich nur kurz danach. Die Stimmung ist gedrückt, als Philip uns vom „Silvestermord von Wismar“ erzählt. Einem Mord, ausgeführt von ein paar Mitgliedern der „Kameradschaft Werwolf“. Philip selbst war dabei nicht direkt beteiligt, dennoch war es ein Punkt, der ihm klarmachte, dass er aus der Gruppe aussteigen möchte. Die Angst vor erneuter Einsamkeit und davor, seine „Kameraden“ und seine Geschäfte zu verlieren, hielt ihn davon ab ganz auszusteigen. Er wurde zum Rockerboss eines Bikerclubs und stieg dort erst endgültig aus, als die Polizei den Club verbot. Er zeigt uns danach ein Bild von ihm nach dem Ausstieg. Das Erste, was auffällt, ist, dass er lächelt, glücklich und befreit aussieht. Philip Schlaffer sagt, dass er sich ab diesem Zeitpunkt ein neues und richtiges Leben aufbauen wollte. Vorher jedoch musste er eine Haftstrafe wegen Verstößen gegen das Rauschmittelgesetz absitzen. Er holte sich bereits im Gefängnis Hilfe und als er 2018 entlassen wurde, begann sein neues Leben. Heute ist Philip stolz auf dieses. Er hat vor 5 Monaten geheiratet und wirkt glücklich. Zum Schluss sagt er noch etwas Bedeutendes. Er erzählt, die 20 Jahre, welche er auf dieses Weise lebte, waren verschwendet und er hätte sie gern anders gelebt. Außerdem kam ihm nach seinem Ausstieg eine wichtige Erkenntnis. Er sagt: „Mir wurde bewusst, dass kein Mensch, welchen ich in diesen 20 Jahren traf, sagen würde, dass sein Leben durch mich besser geworden ist“. Dieser Satz blieb im Gedächtnis und in einer Auswertung in unserer Klasse wird allen klar, dass dieses Treffen sehr beeindruckend war.
Maja Mietzner, 09c